ARTIKEL.

Uwe Heimowski
April 2014 | FAMILY

Artikel: Nicht mehr verliebt?

 

Wir haben gelernt, dass Vergebung ein Lebenselixier ist.

Nicht mehr verliebt?

Studien sagen: Nach 18 bis 36 Monaten sind die Schmetterlinge verschwunden. Und wie sieht es zwanzig Jahren danach aus? Uwe Heimowski und seine Frau Christine entdecken, wie sich ihre Liebe verändert hat.

 

Livia und Savina haben sich schön gemacht: sie tragen Partnerlook, weißes T-Shirt,

rosafarbenes Kleidchen. „Ihr sehr aber schön aus“, staune ich, „seid ihr Zwillinge?“ Savina, die Zehnjährige drückt sich an ihre vierjährige Schwester. „Nein, Papa,“ erklärt sie mir, "wir sind verliebt.“ Da will Livia nicht hinten an stehen und setzt noch eins drauf: „Wir sind ja gar nicht mehr verliebt – wir sind schon verheiratet.“

 

Meine Frau und ich, wir schütteln uns vor Lachen. Später greifen wir den Faden auf. Wie sieht es aus, mit dem Verliebtsein nach 19 Jahren Ehe? Noch immer zähle ich mit Begeisterung Christines Sommersprossen! Noch immer ziehe ich die Heimkehr dem Abschied vor. Aber, machen wir uns nichts vor, unsere Gefühle haben sich verändert, unsere Liebe ist anders geworden. Seltener himmelhochjauchzend – aber kaum noch zu Tode betrübt. Unspektakulärerer, unaufgeregter und alltäglicher – dafür selbstverständlicher, beständiger und vertrauter.

Beim Sortieren meiner Gedanken hilft mir eine Anleihe bei der Philosophie. Friedrich Hegel hat seine Dialektik als dreifaches „Aufgehoben“ beschrieben. Eine These und eine Hypothese, so erklärt er, verschmelzen zu einer Synthese, darin sind sie dann „aufgehoben“. Sie gelten nicht mehr, dennoch sind sie Teil der Synthese, und sie sind sozusagen auf eine „höhere Ebene“ hinaufgehoben. Die Entwicklung des „verliebt – (verlobt) – verheiratet“ lässt sich ähnlich beschreiben. (Wohl wissend, dass jede Partnerschaft anders und einmalig ist.)

 

Es kribbelt nicht mehr so oft

Aufgehoben kann bedeuten: „vorbei". Ein aufgehobenes Verbot ist eine Erlaubnis, eine aufgehobene Erlaubnis ist ein Verbot. Gilt das auch fürs Verliebtsein in der Ehe? Ist es in diesem Sinne irgendwann aufgehoben, also aus, erloschen und vorbei? Durchaus. Das sehnsuchtsvolle Kribbeln und die sprichwörtlichen Schmetterlinge im Bauch sind schon lange nicht mehr der permanente Aggregatzustand unserer Beziehung. Die Nacht, in der sich mein Schatz ohne ein

Auge zuzumachen auf der Pritsche einer Schweizer Berghütte wälzte, weil wir Schlafsack an Schlafsack lagen, zum ersten Mal so nahe beieinander, diese Nacht ist als schöne Erinnerung geblieben. Heute dagegen wird Christine eher von einem der Kinder oder meinem Schnarchen geweckt …

Aufgehoben kann auch bedeuten: „bewahrt". Oder, um es mit einem Modebegriff zu sagen, „inklusiv“. Da sind sie dann plötzlich wieder diese Momente. Wenn sich ein Sonnenstrahl unvermittelt unter eine von Christines Haarsträhnen stiehlt, wenn wir uns nach einem langen Tag mit einer dampfenden Teetasse zu einander setzen, wenn eine zärtliche Berührung den erotischen Funken entfacht. Der Flächenbrand der ersten Tage, der alles andere verzehrte, jeden Gedanken reklamierte, ist Erinnerung. Die Gelegenheiten zur Zweisamkeit sind seltener, fünf Kinder und ein arbeitsreicher Alltag fordern ihren Tribut. Doch der Funken glimmt noch. Er will

gepflegt sein, muss mitunter aktiv angefacht werden, um nicht zu verlöschen. Doch was bliebe von der Liebe ohne die verliebten Momente?

 

Geschmollt und gelacht

Aufgehoben kann schließlich bedeuten: „veredelt". Und so hat Livia es ja auch gemeint, „verheiratet“ ist für unsere Jüngste eine Steigerungsform von „verliebt“. Wir haben zwei Jahrzehnte miteinander geteilt. Die Kinder getröstet, manche Nacht durchwacht und mehr als einen schweren Verlust beweint. Wir waren glücklich und stolz auf erreichte Etappen, haben uns an den leuchtenden Augen der Kinder gefreut. Wir haben Feste gefeiert und Urlaube genossen.

Und wir kennen die kreiselnden Gedankenstrudel, für die es im Kopf keinen „Aus-Knopf“ gibt. Wir haben miteinander gebetet – und uns angeschrien. Wir haben den anderen an dem einen Tag als die perfekte Ergänzung erlebt, um uns am nächsten Tag wegen genau der gleichen Eigenschaft keines Blickes zu würdigen. Wir haben geschmollt – und hinterher darüber gelacht, wie kindisch (vermeintlich) erwachsene Leute mitunter sein können. Wir haben gelernt, dass Vergebung keine fromme Floskel, sondern ein Lebenselixier ist. Ein Fundament, das trägt. Wir staunen über Gott und über einander.

Jeder einzelne Moment gehört zu uns. Damals, vor zwei Jahrzehnten, haben wir nicht ahnen können, wie tief eine reifende Liebe ihre Wurzeln treibt, wie stark ihr Äste werden, und wieviel sie tragen können – dafür waren wir aber auch viel zu verliebt. Savina und Livia stimmen in unser Lachen ein, auch wenn sie gar nicht verstehen, was denn da nun eigentlich so lustig war. Situationskomik ist eines der Highlights im Familienalltag. Dann nehmen Christine und ich uns in den Arm, wir schmiegen uns zärtlich aneinander und geben uns einen langen, innigen Kuss. Die Mädels kichern. Verliebt?

Wir sind es immer noch. Und mehr als das.

 

Uwe Heimowski (50) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Stadtrat, Vater von fünf Kindern, Ehemann und Gemeindereferent in der Evangelisch freikirchlichen Gemeinde Gera.

 

 

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