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Uwe Heimowski
Oktober 2016 | DRAN NEXT

Artikel: Wer nicht handelt, wird behandelt - Christen und die Politik

 

 

„Wer nicht handelt, wird behandelt“ - Christen und die Politik

 

Na, das nenne ich mal einen klare Ansage: „Danke `Pokémon Go´!“ schrieb Margarete Stokowski in ihrer Kolumne am 19. Juli bei Spiegel Online: „Wir dachten, das Zeitalter der Ideen und Utopien sei vorbei. Jetzt aber geht die Jugend endlich wieder auf die Straße.“

 

Hat sie Recht mit ihrem Zynismus? Lassen sich junge Menschen, wenn überhaupt, dann ausschließlich mit Games in Bewegung setzen, während die Politik und die Träume von einer besseren Welt keine Rolle mehr spielen? Meine beiden Großen (17 und 19 Jahre) protestieren, als ich ihnen das Zitat vorlese. Die Jugend ist nicht unpolitisch, sagen sie unisono. Viele ihrer Freunde haben Interesse an Politik und eine klare Meinung. Die Shell-Jugendstudie von 2015 stützt diese Beobachtung: Das politische Interesse von Jugendlichen in Deutschland ist wieder deutlich gestiegen. 2002 waren es nur 30 Prozent der 12 bis 25jährigen, 2015 dagegen bezeichnen sich 41 Prozent als politisch interessiert. Das sind zwei von fünf jungen Menschen. Ein großes Potential. Auch eines für Christen?

 

Vorbehalte von Christen gegenüber der Politik

 

Glaube und Politik, so hört man manchmal, schließen sich aus. Das kann mit Bequemlichkeit zu tun haben. Manche Christen haben sich in ihrer geistlichen Komfortzone gemütlich eingerichtet. Mit Tunnelblick steuern in Richtung Ewigkeit, was in „der Welt“ geschieht: Nebensache.

Für manche klingt Politik auch nach „die da oben“, nach „weit weg“ und „was hat das mir zu tun“? Doch Resignation ist keine christliche Tugend. Und wem Berlin zu weit ist, der kann ja gerne vor Ort beginnen. Im Stadtrat meiner Heimatstadt Gera, da würde ich mir schon den ein oder anderen Christen wünschen. Es wäre doch großartig, über Parteigrenzen hinweg für die wichtigsten Anliegen zu beten und Allianzen zu schmieden.

Dann gibt es Menschen, die Politik „eine Hure“ nennen oder vom „Haifischbecken“ in Berlin sprechen. Man müsse sich verbiegen, sagen sie. Ein christlicher Politiker könne keinen klaren Weg gehen, sondern müsse ständig Kompromisse machen. Stimmt, ohne Kompromisse geht es nicht. Auch Christen leben in der Realität „Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt“, gibt es leider nur bei Pipi Langstrumpf oder bei Diktatoren. Politik in der Demokratie braucht Mehrheiten, und die gewinnt man selten mit starren Positionen. Doch verbiegen muss sich niemand. In den Parlamenten herrscht – wenn es wirklich drauf ankommt - Gewissensfreiheit.

Andere Christen haben gute Gründe, der Politik reserviert zu begegnen. Sie haben Verfolgung erlebt. Hinter dem Eisernen Vorhang wurden etliche Christen wegen ihres Glaubens in Gefängnisse und Lager gesteckt: In der Sowjetunion, in Rumänien, in China. Viele haben ihr Leben gelassen. Wen mag es wundern, dass sie bis heute kein Vertrauen zu den Regierenden haben, und sich aus der Politik heraus halten? Anderseits: Braucht es nicht gerade dann Christen, die öffentlich für die Interessen ihrer Geschwister eintreten?

Und natürlich gibt es auch die unseligen Verquickungen von Politik und Glaube. Denken wir an die Kirche im Mittelalter, oder an das Koppelschloss der Uniform im Zweiten Weltkrieg mit dem Aufdruck „Gott mit uns“. Glaube muss sich immer eine kritische Distanz zur Politik bewahren. Aber Heraushalten kann keine Lösung sein.

 

Was sagt die Bibel zum Thema Politik?

 

Klar ist: Jesus war kein Politiker. Ja er hat sogar gesagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18:36). Aber es wäre ein großes Missverständnis, daraus abzuleiten, dass Jesus sich nicht für den Zustand der Welt interessiert hätte. Die Bergpredigt (Mat 5-7) ist (auch) eine Art Manifest für eine christlich-soziale Gesellschaftsordnung: Frieden, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind die Themen. Vollkommenen werden wir diese Werte nicht erreichen, das ist klar, und das meint Jesus, wenn er sagt, sein Reich sei nicht von dieser Welt. Aber: Jesus sagt auch, dass Christen „Salz und Licht“ sein sollen, dass sie sich – buchstäblich – einmischen sollen, so wie man den Sauerteig in den Teig hineinmischt. „Was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihr ihnen zuerst“, lautet seine goldene Regel. Christen sollen aktiv sein, ja an der Spitze stehen, wenn es darum geht, Gutes zu tun.

 

Schon am Anfang der Bibel erhält Adam den „Schöpfungsauftrag“: er soll die Welt gestalten. Viele der großen Figuren des Alten Testaments waren Politiker: Mose, David, Salomo, um nur einige zu nennen.

Doch nicht nur beim „Spitzenpersonal“ ist Politik ein Thema. Der Prophet Jeremia fordert die nach Babel verschleppten Juden auf:

„Sucht der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl.“ (Jeremia 29:7)

Der Begriff Politik kommt vom Griechischen: „Polis“ - „die Stadt“, ein Politiker ist jemand, der Verantwortung für das Wohlergehen einer Stadt (und eines Landes) übernimmt. Für die ganze Stadt, nicht nur für die Gläubigen. Genau das fordert Jeremia: Praktisches Engagement ergänzt durch Gebet.

 

Auch die Bibel beschreibt eine Spannung: Im Römerbrief lesen wir (Kapitel 13), dass wir uns in den Staat einfügen sollen („Seid untertan der Obrigkeit“), während in der Apostelgeschichte (5,29) einem blinden Untertanengehorsam eine Grenze gesetzt ist: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, antwortet Petrus als die staatlichen Autoritäten ihm verbieten, von Jesus zu erzählen. Ein Christ wird den Menschen dienen, sich in den Staat einfügen, aber er wird dabei nie seinen Gott und seine Grundwerte verleugnen. „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ sagt Jesus (Matthäus 22,21).

 

Wenn Christen einen Unterschied machen

 

Politisches Engagement ist also ein biblischer Gedanke. Und es lohnt sich. Christen können einen Unterschied in der Gesellschaft machen. Dafür gibt es eine Reihe von Beispielen.

 

Nehmen wir den 9. November 1989: die Mauer ist gefallen. Deutschlands Teilung wurde überwunden. Begonnen hat diese „friedliche Revolution“ in den Kirchen. Es waren Christen, die ihre Gotteshäuser für Friedensgebete geöffnet haben. In der  Nikolaikirche in Leipzig mit ihrem Pfarrer Christian Führer hat es begonnen, viele andere Orte sind gefolgt. Mit einer Kerze und einem Liedzettel in der Hand gingen die Menschen auf die Straße - und keine Nationale Volksarmee, keine Staatssicherheit und kein Parteiapparat vermochte sie aufzuhalten. Das war geistlich und hochpolitisch zugleich.

 

Denken wir an die 1960er Jahre in den USA. Der Baptistenpastor Dr. Martin Luther King führt den gewaltlosen Widerstand der Schwarzen an. Gespeist von der biblischen Überzeugung, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, kämpft er gegen den Rassismus. Seine berühmte Rede „I have a dream“ ist gespickt mit biblischen Bildern und Zitaten. King selber ist kein gewählter Politiker. Seine Bewegung ist, wenn man so will, eine „außerparlamentarische Opposition“. Doch sie ist der Wegbereiter für den 20 Januar 2009, als mit Barack Obama der erste frei gewählte afroamerikanische Präsident ins Weiße Haus einzog. Martin Luther King hat seinen Kampf mit dem Leben bezahlt, doch als Christ wusste er, dass sein Einsatz weit über das eigene Leben hinaus geht.

 

Oder gehen wir noch ein Jahrhundert zurück. 1807 verabschiedete das Britische Parlament ein Gesetz zur Aufhebung des Sklavenhandels. Zuvor hatte ein und derselbe Abgeordnete diesen Antrag 18 Jahre lang Jahr für Jahr (mit wenigen Pausen) eingebracht. William Wilberforce (1759-1833) war bereits im Alter von 21 Jahren ins britische Unterhaus gewählt worden. Vier Jahre später fand der junge Mann zum Glauben. Er traf ehemalige Sklavenhändler, erkannte die menschenunwürdigen Bedingungen und widmete seit 1787 seine Arbeit dem Kampf gegen die Sklaverei. Erfolgreich. Mit langem Atem. Ein Christ hat hier den Unterschied gemacht und unzählige Leben gerettet.

 

Politisch aktiv werden – wo und wie?

 

Politisch aktiv werden, wie fängt das an? Es beginnt im Kopf: Indem ich verstehe, dass ich unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten kann (und muss). Wer nicht handelt, der wird behandelt.

Eine Demokratie bietet viele Möglichkeiten. Die Mitarbeit in einer Partei ist eine davon. Fast alle  Parteien suchen Nachwuchs. Aber auch ein Schülersprecher ist politisch. Ein Mitarbeiter im Stadtjugendring. Ein Helfer beim Freundeskreis für Flüchtlinge. Ein Teilnehmer an einer Demonstration gegen Rassismus. Ein Mitglied bei amnesty international. Ein Unterstützer von Open Doors.

Die Möglichkeiten politisch aktiv zu werden sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Wichtig dabei ist, dass Christen sich – egal wie die jeweilige Berufung oder konkrete Aufgabe aussieht - von biblischen Werten leiten lassen, nicht von Eigeninteressen. Unser Lebensstil verleiht unseren Worten und Taten die nötige Glaubwürdigkeit. Und eines sollten Christen auf jeden Fall tun: Wählen gehen.

 

Es wächst eine junge Generation heran, die sich für Politik interessiert, die heute das Morgen gestalten kann. Es wäre großartig, wenn Christen ein wesentlicher Teil davon sind.

 

 

Uwe Heimowski, Erzieher und Theologe, verheiratet, fünf Kinder. Seit Oktober 2016 Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz beim Deutschen Bundestag und der Bundesregierung. Er vertritt christliche Themen wie: Menschenrechte, Religionsfreiheit, Weltverantwortung oder Lebensrecht. In seiner Heimatstadt Gera ist er Mitglied des Stadtrates.

  

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