ARTIKEL.

Uwe Heimowski
Juni 2016 | Die Gemeinde

Artikel: Gleicher Lohn für alle?

 

 

Gleicher Lohn für alle: Die Arbeiter im Weinberg – ein politisches Programm?

 

1Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen sein Haus verließ, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. 2Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg. 3Um die dritte Stunde ging er wieder auf den Markt und sah andere dastehen, die keine Arbeit hatten. 4Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist. 5Und sie gingen. Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder auf den Markt und machte es ebenso. 6Als er um die elfte Stunde noch einmal hinging, traf er wieder einige, die dort herumstanden. Er sagte zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig herum? 7Sie antworteten: Niemand hat uns angeworben. Da sagte er zu ihnen: Geht auch ihr in meinen Weinberg! 8Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter, und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den letzten, bis hin zu den ersten. 9Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar. 10Als dann die ersten an der Reihe waren, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten nur einen Denar. 11Da begannen sie, über den Gutsherrn zu murren, 12und sagten: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt; wir aber haben den ganzen Tag über die Last der Arbeit und die Hitze ertragen. 13Da erwiderte er einem von ihnen: Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? 14Nimm dein Geld und geh! Ich will dem letzten ebenso viel geben wie dir. 15Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder bist du neidisch, weil ich (zu anderen) gütig bin? 16So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten. (Mt 20,1-16 Einheitsübersetzung)

 

Jesus erzählt ein Gleichnis, in dem es um Gerechtigkeit geht. Wirklich? Oder sollte man besser sagen: um Ungerechtigkeit? Jeder Arbeiter bekommt am Ende des Tages den exakt gleichen Lohn. Obwohl doch nicht jeder die gleiche Arbeitszeit investiert hat. Natürlich kommt bei denen ein Gemurre auf, die länger in den Weinberg mussten - nur um dann eine Lohntüte mit dem gleichen Inhalt in den Händen zu halten wie ihn auch die Kurzarbeiter bekommen.

 

Kann das gerecht sein: Ungleiches gleich zu behandeln? Kaum. Wer die Fleißigen, die – wie man sie nennt - Leistungsträger einer Gesellschaft, benachteiligt, der nimmt ihnen die Motivation, sich weiterhin anzustrengen. Menschen neigen immer dazu, sich zu vergleichen, und warum sollte einer mehr arbeiten, wenn der andere für weniger Einsatz das gleiche bekommt?

 

Doch darum geht es in unserem Text nur auf den ersten Blick. Dass Jesus Gerechtigkeit und Gleichheit nicht platt in eins setzt, zeigt ein anderes Beispiel aus dem Neuen Testament. Im Gleichnis von „den anvertrauten Pfunden“ (oder Talenten) in Lk 19,11-27 werden materiell ungleiche „Startbedingungen“ einfach vorausgesetzt, ohne Bewertung. Die naheliegende Frage nach Gerechtigkeit - im Sinne von Gleichheit – stellt Jesus gar nicht. Es geht nicht darum, dass jeder das gleiche hat. Betont wird hingegen ein anderer Aspekt: Wichtig ist, was ein Mensch aus den Pfunden macht, die ihm anvertraut wurden. Schöpft er seine Potentiale und Ressourcen aus, oder vergräbt er seine Talente?

 

Damit zurück zu den Arbeitern im Weinberg. Jeder Arbeiter im Gleichnis erhält den gleichen Lohn. Und zwar den üblichen Satz eines Tagelöhners. Das ist die Summe, die ein Arbeiter braucht, um sein Auskommen (und das der Familie) zu sichern. Alle Männer, die auf dem Markt standen, haben nach Arbeit gesucht. Niemand hat einfach Däumchen drehen wollen, aber nicht jeder hatte die Chance, eine bezahlte Beschäftigung für den ganzen Tag zu finden.

Der Kerngedanke lautet: Wenn ein Mensch einer Erwerbsarbeit nachgeht, dann soll sein Lohn ihm die Lebensgrundlagen garantieren. Und wer keine Gelegenheit hat, eine volle Stelle zu bekommen, der darf „aufstocken“. Es bekommen also nicht die einen Arbeiter zu wenig, sondern alle Arbeiter bekommen genug – genug zum Leben.

 

Gerechtigkeit wird hier nicht über den Vergleich der Arbeitszeit definiert, sondern über die Sicherung der Existenz des Einzelnen.

Es ist erstaunlich, wie konkret sich dieser Gedanke in Politik umsetzen lässt. Am besten verwirklicht sehe ich es in der „Sozialen Marktwirtschaft“. Gerechtigkeit wird in der sozialen Marktwirtschaft nicht als Gleichheit, sondern als Chancengleichheit verstanden. Sie will jedem Menschen optimale Bedingungen geben, etwas aus sich zu machen. Konkret heißt das: jeder Menschen muss trotz unterschiedlicher sozialer Voraussetzungen den gleichen Zugang zu Bildung haben. Jedem Menschen müssen die gleichen Rechte und die gleichen Chancen eingeräumt werden.

 

Und soziale Marktwirtschaft nimmt andererseits diejenigen in den Blick, die ihre Chancen nicht nutzen können, weil sie alt, krank oder behindert sind, oder weil sie auf dem Arbeitsmarkt nicht nachgefragt werden. Ihnen gilt die Solidarität der Gesellschaft.

Wie äußert sich das? Etwa in einem progressiven Steuersystem: Wer mehr verdient, zahlt höhere Steuern. Oder im Gesundheitssystem: Indem alle Arbeitnehmer einen festen Beitrag zahlen, bekommt der Kranke notwendige Leistungen.

Ein Beispiel, das dem Gleichnis sehr nahe kommt, ist der gesetzliche Mindestlohn. Dieser soll es möglich machen, von seiner Hände Arbeit auskömmlich zu leben. Der Stundenlohn von 8,50 Euro pro Stunde, der 2014 in Deutschland eingeführt wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Um Altersarmut vorzubeugen, ist es aber noch deutlich zu wenig. Da bleiben einige Baustellen für die Politik bestehen.

 

Fassen wir zusammen: Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ist erstaunlich aktuell und lässt sich unmittelbar in die Politik übersetzen. Es betont, dass Arbeit immer die Existenz sichern muss. Gerechtigkeit ist nicht einfach Gleichheit, sondern besteht aus Chancengleichheit und Solidarität.

 

 

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